Die Schule ist gefährdet

Doch - vorerst nahte für die Mädchenberufsschule eine bitterernste Krisis!
Zwar hatte mir Senator Strunk anläßlich einer Sitzung des Schulausschusses der Stadtverordneten-Versammlung gesagt, dass eher für das neue Etatsjahr (1926) 100.000 Gulden für einen neuen Schulbau für die Mädchenberufsschule einsetzen werde, oder eingesetzt habe. – Und ich war natürlich voller Freude und Hoffnung!
Da – am 3. Februar 1926 ein Blitz aus heiterem Himmel! – Zu mir in mein Amtszimmer kommt Fräulein Baatz und sagt: "Fräulein Groth, die Schülerinnen sagen, unsere Schule soll eingehen.! Das wäre schon in der Stadt bekannt! Haben Sie etwas davon gehört?"
Ich nun darauf: "Ach, Unsinn! Herr Senator Strunk hat mir noch vor kurzem gesagt, daß er für einen Schulbau für die Mädchenberufsschule 100.000 Gulden in den Etat einsetzen werde!"
Fräulein Baatz versicherte aber, daß die Mädchen dies ganz ernsthaft behauptet hätten. – Vielleicht gehörte irgend ein Vater der Stadtverordnetenversammlung an!
Da Herr Direktor Jasse der Stadtverordnetenversammlung angehörte, machte ich mich sofort auf zu seinem Amtszimmer, dass am anderen Ende des Korridors lag. Dort angekommen, erzählte ich ihm was ich eben von Fräulein B. gehört hatte und fragte ihn, ob ihm etwas davon bekannt wäre, und – zu meinem Schrecken! – erfuhr ich von ihm, daß er tatsächlich davon wußte! Nun, ich machte mich daraufhin sofort auf den Weg zu Herrn Oberschulrat Thiel! Dort angekommen sagte ich wörtlich: Herr Oberschulrat, ich komme aufgrund von Gerüchten! Und erzählte ihm, was ich von Fräulein B. erfahren hatte.
Und was geschah? Herr Oberschulrat Th. setzte mich erst einmal unter das "Amtsgeheimnis"! (Die Spatzen pfiffen es derweil von den Dächern!) Und dann sagte er, daß tatsächlich die Absicht bestehe, das Ortsstatut für die Mädchenberufsschule außer Kraft zu setzen, Da die Stadt kein Geld habe! Es soll ja allerdings nicht ganz aus sein mit der Schule! Soweit die Schülerinnen ein Schulgeld zahlen würden, könnten die Klassen weiter bestehen! Also freiwillig und Schulgeld!
Nun, meine Empörung über diese Zumutung war echt! Das wird mir jeder ohne weiteres glauben! Ich erklärte rundheraus, daß hiervon keine Rede sein können! 5 Jahre lang hatte ich mit großer Mühe die Schulpflicht für die Mädchen bei den Arbeitgebern durchgesetzt – und nun sollten sie die Mädel "freiwillig" schicken und dazu noch Schulgeld zahlen!!
Herr Oberschulrat Th. glaubte, es seinen Ansehen schuldig zu sein, mir zu sagen, daß ich als Direktorin doch wohl fähig sein müßte, zu beurteilen, wie meine Schülerinnen zur Schule stünden! Ich antwortete ihm darauf, daß ich wohl die Einstellung meiner Schülerinnen zur Schule kenne, auch daß ich wüßte, daß sie gern zur Schule kämen – schon des freien Arbeitstags wegen! – Daß ich jedoch keine Einsicht in ihr Portemonnaie hätte!
Ich fragte dann, ob denn auch die Knabenberufsschule dieser Maßnahme unterliege? Darauf die Antwort: Das käme überhaupt nicht in Frage! Schon deswegen nicht, weil die Jungen nicht zum Militärdienst eingezogen würden. So müßte wenigstens die Schulerziehung fortgesetzt werden.
Die Mädchenberufsschule sei in Danzig die jüngste Schulgattung, daher könne an ihr am ehesten die notwendige Einsparung erfolgen!
Nun, ich hoffe, dass es mir niemand verargen wird, wenn ich hier gestehe, daß ich an Oberschulrat Th. darauf antwortete: "Ist dies ihrer Weisheit letzter Schluß?" Meine Empörung darüber, daß man ohne mich die hinzuzuziehen, derartige Entschlüsse, sozusagen hinter meinem Rücken gefaßt hatte, machte sich hiermit Luft!
Im übrigen hatte ich schon auf dem Wege zum Oberschulrat – auf das Schlimmste gefasst – einen Ausweg gefunden! Und den eröffnete ich dann meinem Vorgesetzten! Ich sagte etwa folgendes: Wenn schon die Einsparung notwendig ist, so könnte ich nicht einsehen, weshalb dies nur auf Kosten des Bestandes der Mädchenberufsschule geschehen könne! Ich schlage vor, die Schulstunden für Mädchen auf die Hälfte herabzusetzen und das dann nötige Geld durch Einsparungen bei den Jungen, zum Beispiel von 8 Stunden auf 6 Stunden oder von 6 Stunden auf 4 Stunden heraus zu bekommen. So würde das Ortsstatut in Kraft bleiben, und, sobald sich die Finanzlage der Stadt gebessert hätte, könnte der normale Schulbetrieb wieder einsetzen!
Ach ja, auf diesen Ausweg waren die Herren Stadtväter nicht gekommen!
(Ich fürchte im übrigen, dass Herr Oberschulrat Th. im Grunde froh war, das ihm lästige Berufsschuldezernat loszuwerden!)
Sichtlich überrascht nahm er meinen Vorschlag zur Kenntnis! Betonte aber, daß ich vor allem erst mal den Plan mit der Freiwilligkeit und dem Schulgeld ausarbeiten solle!!
Dies geschah also am 3. Februar 1926. Ich glaube, es war ein Donnerstag oder Freitag!
Ich habe mich jedenfalls zu Hause sofort an die Ausarbeitung meines Planes gemacht. Den albernen Vorschlag mit der Freiwilligkeit und dem Schulgeld streifte ich nur kurz als unzweckmäßig und undurchführbar, – stellte aber eine genaue Berechnung auf unter Voraussetzung der halben Stundenzahl. Ich setzte außerdem den niedrigsten Stundensatz für nebenamtlichen Unterricht fest. (Soweit ich mich erinnere, waren 2 Stundensätze anwendbar: 3 Gulden und 2,80 Gulden). Mich lenkte dabei der Gedanke, daß die Lehrkräfte bei der Entscheidung um "Sein oder Nichtsein" schon mit dem niedrigeren Stundenansatz zufrieden sein würden!
Am darauf folgenden Montag brachte ich dann meine Ausarbeitung – und zwar in zweifacher Ausführung, die zweite für Herrn Senator Strunk!– zu Herrn Oberschulrat Th.. Ich sagte ihm auch, daß ich die gleiche Ausarbeitung Herrn Senator Strunk bringen würde! Er darauf: "Fräulein Groth es hat doch keinen Zweck!" Ich darauf: "Herr Senator Strunk muß diese Ausarbeitung erhalten!" – So gingen wir auseinander. Ich mit meinem Schriftstück in das Vorzimmer des Senators. Für alle Fälle hatte ich noch einen Zettel beigelegt, auf den ich geschrieben hatte:
Da es sich um Sein oder Nichtsein der Mädchenberufsschule handelt, bitte ich, mich zu einer Rücksprache vorzuladen. Groth

Im Vorzimmer des Senators erfuhr ich, daß gerade eine Sitzung beim Senator war, ich ihn also nicht sprechen konnte. Zudem kam dann auch gerade Oberschulrat Th. in das Vorzimmer, er war auch zur Sitzung geladen. Als er mich sah, sagte eher wieder achselzuckend: "Fräulein Groth, es hat doch keinen Zweck!" Ich aber bat die Sekretärin, die im Vorzimmer saß, mein Schriftstück nach der Sitzung sofort Herrn Senator Strunk vorzulegen.
Und was geschah? Als ich am folgenden Dienstag um 8:00 Uhr in der Schule erschienen – helle Aufregung im Büro! "Fräulein Groth, sie sollen sofort zum Senat ins Amtszimmer des Senators kommen! Herr Direktor Jasse ist auch vorgeladen!"
Nun ja, man wird mir's wohl glauben, daß ich geflügelten Schrittes zum Senat nach Neugarten ging!
Im Amtszimmer saß der Senator mit Oberschulrat Th. zusammen. Als ich ins Zimmer trat, kam Senator Strunk mir mit ausgestrecktem Arm entgegen, "Fräulein Groth, in letzter Sekunde ein Strohhalm!"
Vor ihm lag mein Schriftstück, bedeckt mit Zahlen und Anmerkungen! Neben ihm saß Oberschulrat Th. und versuchte dem Senator Aufklärung über mein Schreiben zu geben – jedoch so unzulänglich, dasß ich einmal dazwischen rufen mußte: "Herr Senator, genau das Gegenteil!"
Und dann erschien auch Herr Direktor Jasse. Sichtlich erstaunt darüber, was hier in so früher Morgenstunde vorging
Doch Senator Strunk ließ ihm nicht viel Zeit zum Verwundern. Er klärte ihn schnell auf – und dann ging das "Anzapfen" los, – ob er wollte oder nicht. Das ging so lange, bis Senator Strunk die Summe, die ich ausgerechnet hatte, zusammen hatte.
Ehe Herr Direktor Jasse eintrat, hatte Senator Strunk im übrigen noch Herrn Oberschulrat Th. gefragt, wie es eigentlich mit dem Haus des Weinlig-Lyzeums in der Hundegasse steht. Das Haus würde doch nun frei, da das Weinlig-Lyzeum ja mit dem Scherler- Lyzeum verbunden würde! Nun, da konnte Oberschulrat Th. ja nicht um hin zuzugeben, daß es frei sei – und für unsere Schule – offen! Also, wir kriegten nach aller Angst sogar noch ein Haus geschenkt!
Und als dann Herr Direktor Jasse genügend angezapft war, nahm Senator Strunk die Akten unter den Arm, verabschiedete sich freundlich von uns, rief mir zu, dass ich Nachricht bekommen würde, – und verschwand – zur entscheidenden Senatssitzung!!
Wir Drei verließen dann mit reichlich gemischten Gefühlen den Senat, wie man sich wohl denken kann! Meine männlichen Begleiter recht verdeppert – und ich? Nun, das kann sich jeder denken! Ich verabschiedete mich jedenfalls schnell von ihnen! Am folgenden Mittwoch dann der Anruf von Senator Strunk: Fräulein Groth, ihr Plan ist angenommen!
Also: gewonnen!!

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