Der Weg zu einer selbständigen Mädchenberufsschule

Herr Direktor Jasse hatte mit meiner nun aufgebauten Schule keinerlei Beziehung. So war es für mich höchst erstaunlich, als er auf einmal beanspruchte, von nun an, meine Klassen aufzusuchen und dem Unterricht der Lehrkräfte beizuwohnen! Ich hatte durchaus nicht die Meinung, dass die Mädchenberufsschule eine "Abteilung" der Knabenberufsschule sei! Und dass Herr Direktor Jasse mein Vorgesetzter für alle Zeiten sei!
Ich zog also die Konsequenz!
Ich suche Herrn Oberschulrat Thiel, dem das Dezernat für das Berufsschulwesen – (sehr zu seinem Unbehagen, denn dies Schulwesen war ihm durchaus fremd!) – übertragen war, auf und berichtete ihm die Absicht von Herrn Direktor Jasse und erklärte, daß ich in bäte, mich an die Volksschule zurück zu versetzen. Ich hätte ja jetzt die Schule aufgebaut, hätte nicht den geringsten Grund, die jetzt aufgebaute Mädchenberufsschule als ein "Anhängsel" oder eine "Abteilung" der Knabenberufsschule anzusehen. Meine Bitte hätte ich mir ein wohl überlegt und entsprechend meinem festen Ernst und Entschluß. Ich hätte immer gern an der Volksschule unterrichtet.
Nun, das war ja allerdings für Herrn Oberschulrat Thiel ein "Blitz aus heiterem Himmel"!
Das Dezernat für die Berufsschulen war ihm unbedingt ein lästiges "Anhängsel". Er hatte eigentlich keine Ahnung vom Berufsschulwesen. Und nun dieses! Er war sichtlich entsetzt über mich, sagte, das könne käme gar nicht infrage, dass ich zur Volksschule zurück ginge! Und ich sollte mal schriftlich erklären, wie ich mir meine zukünftige Stellung denke!
Nun, das habe ich dann auch getan. Meine Schule zählte damals etwa 2600 Schülerinnen, Herr Direktor Jasse hatte etwa 4000-5000 Schüler. In meinem Schriftstück erklärte ich etwa folgendes: Nachdem ich die Schule aufgebaut hätte, völlig selbständig – ohne Herrn Direktor Jasse – hielte ich es für richtig, meine Stellung zur Schule auch nach außen als ihre Leiterin anzuerkennen.
"Für mich die Bürde und für Herrn Direktor Jasse die Würde", darauf könnte ich nicht eingehen! Ich bäte, mich zur Volksschule zurück zu versetzen.
(Wenn ich dies hier in meinem 80. Lebensjahr hier niederschreibe, dann muß ich doch den Kopf schütteln über meine damalige Kühnheit.)
Nun, – der Erfolg?
Umgehend erhielt ich vom Schulsenat die Nachricht, daß ich ab Ostern 1925 zur Direktorin der Mädchenberufsschule ernannt werde! Es kam aber leider noch ein anderer Erfolg! Leider!
Von diesem Zeitpunkt an war das [Fi??] zwischen Direktor Jasse und mir kaputt!
In einer Aussprache mit Herrn Direktor Jasse erklärte er mir offen heraus, daß er die Absicht gehabt hätte, sich auf diese Weise zum Gewerbe-Schulrat zu machen. Und dann sollte ich Direktoren werden! Nun ja, wir hatten in Danzig keinen Gewerbe-Schulrat, und ich will gerne zugeben, daß der Direktor Jasse vielleicht ganz geeignet dazu gewesen wäre. Doch, was hatte das mit mir und meiner Schule zu tun?
Also – Ostern 1925 wurde ich Direktorin der Schule! Meine Einführung war denkwürdig!
Ich erhielt ein Schreiben – meine Bestellungsurkunde und dazu und damit verbunden die Aufforderung, für den "Stempel" 2,50 Gulden (ich glaube, soviel war es!) in die Kämmerei- Kasse zu zahlen! Das war alles!
Herr Oberschulrat Thiel, den ich bat, doch zu der Konferenz, die ich nach den Ferien halten würde, zu erscheinen, erklärte mir, dass er keine Zeit hätte! – (Ich habe dies später einmal Herrn Senator Strunk erzählt. Der war empört und fragte mich, ob er ihn nachträglich noch zur Rechenschaft ziehen solle. Ich verzichtete, stand Oberschulrat Thiel ja kurz vor seiner Pensionierung!)
Ab Ostern 1925 wurde der Etat der Mädchenschule von dem Etat der Knabenschule getrennt. Ich hatte also das alleinige Verfügungsrecht über den Etat.
Ich sah nun vor allem meine Aufgabe darin, der Mädchenberufsschule die Achtung und Anerkennung zu verschaffen, die ihr gebührt.
Dazu gab natürlich eine Ausstellung die beste Gelegenheit!
Es hieß nun Material beschaffen, denn Handarbeiten sollten angefertigt werden.
Im Materialbeschaffen hatte ich schon einige Erfahrung. Als wir Ostern 1920 anfingen, gab es doch nur Stoffe auf Karten! Ich sehe mich noch mit Fräulein Otto im Speicher in der Judengasse! Fahnenstoff und Militär-Wolldecken konnten wir erhalten. Und später erhielten wir auf Veranlassung des Medizinaloberarztes Doktor Seemann dutzendweise Militärlaken, aus denen unsere Schülerinnen Kopfkissenbezüge für die Lazarett and machen sollten. Das Nähgarn wurde uns geliefert.
Nun, im Jahre 1925 hatten sich die Zeiten ja schon wesentlich gebessert! Ich wandte mich um Stoffreste an die großen Danziger Firmen: Erdemann u. Perlowitz, Potrykus und Fuchs, Walter und Fleck, Harder, das Kaufhaus Sternfeld etc. Alle zeigten viel Verständnis für unser Anliegen und gaben reichlich. Das große Kaufhaus Freymann allerdings gab nichts!
Am 21. Juni 1925, an einem Sonntag, hatten wir dann die große Ausstellung in der Loge Einigkeit auf Neugarten.
Es war ein wundervoller Erfolg!
Wir stellten Lehrgänge für die verschiedenen Berufsgruppen aus, dazu sehr viele Handarbeiten, die nachher verlost werden sollten. Die Schülerinnen hatten vorher 3000 Lose à 0,50 Pf. vertrieben .
Dazu wurde von den Schülerinnen hergestelltes Gebäck, Kuchen, Torten etc. verkauft. Der Wirt des Lagerhauses verkaufte dazu den Kaffee!
So haben Tausende im Laufe des Tages, bei herrlichstem Wetter damals unsere Ausstellung besucht. Und am Abend ging dann die Verlosung vor sich. Ich sehe noch Fräulein Kayser die Gewinn-Nummern ausrufen!
Zwischendrin hatten dann noch Fräulein Konding mit ihren Turnerinnen und Fräulein Timpf [?] mit ihrem Schülerinnenchor zur Unterhaltung unserer Gäste beigetragen.
Unser Reingewinn betrug rund 1500 Gulden. Davon mussten wir leider 300 Gulden wegen der öffentlichen Verlosung "Marktsteuer" abgeben!
Für das Geld schafften wir für die Schule eine Schülerinnen-Bücherei an.
Und wie war die politische Situation?
Nach dem Friedensschluß von Versailles wurde Danzig vom Mutterland abgetrennt. Am 10. Januar 1920 wurde der "Freistaat Danzig" ausgerufen. Zwischen Danzig und dem Reich lag jetzt der "polnische Korridor". Als ich im Juni 1920 von der Stadt nach Leipzig geschickt wurde, mußte ich zu Schiff nach Swinemünde fahren. Die Inflation von 1919-1923 machte sich selbstverständlich auch in Danzig verheerend bemerkbar, jedoch brachten wir es nur zu "Milliarden", während man im Reich bis zu "Billionen" heraufstieg! Mit der Einführung der "Guldenwährung" hörte dann endlich die "Schein"-wirtschaft auf, und uns, die wir dies alles mit erlebten, wird es unvergessen bleiben, als es hieß: "Das Silberschiff aus London ist angekommen!" und wir unser Monatsgehalt in harten silbernen 5 Guldenstücken unter ziemlichem Kraftaufwand nach Hause trugen!
Für mich, als der Leiterin der Schule, war die Tatsache, dass wir "Freistaat" wurden und vollständig vom Reich getrennt als selbstständiger Staat lebten, von sehr einschneidender Bedeutung. Ich stand mit meiner Mädchenberufsschule völlig auf mich selbst gestellt im Freistaat da! Während im Reich die Leiter und Leiterinnen der Mädchenberufsschulen zu regelmäßigen Direktoren-Konferenzen zusammenkamen, hatte ich keinerlei Verbindung mit ihnen. Ich holte mir die nötigen Anregungen durch entsprechende Festschriften und auch auf den großen Gewerbelehrer-Tagungen. Da wir auch keine Gewerbeschulrat im Freistaat hatten, so kam es, dass ich während den 25 Jahren, die ich die Schule leitete, niemals eine Revision meiner Schule erlebt habe! Ich war daher vollständig auf mich selbst und auf das Verantwortungsbewußtsein der Lehrkräfte angewiesen. Wenn ich auch den Lehrkräften, der großen Mehrzahl derselben, nur nachsagen kann, daß sie mein Vertrauen in sie nicht enttäuscht haben, so bin ich mir doch bewußt, dass eine ordentliche Revision von Zeit zu Zeit aufrütteln, ermunternd und heilsam für die Schule ist. Ich habe es daher oft bedauert, dass es nie dazu kam!
Einen gewissen Ersatz bildeten die großen und kleinen "Ausstellungen", die wir veranstalteten. Andererseits muss ich aber auch dankbar bekennen, dass mir wegen der mir anvertrauten Selbstständigkeit alle Wege offen standen, die mancherlei Pläne, die mir für den Ausbau der Schule nötig schienen, zu verwirklichen.

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