Neue Schwierigkeiten - Einweihung - zur Vorgeschichte - das Ende der Schule 1945

Ich benachrichtigte sofort die Lehrkräfte von dem Beschluß des Senats, gab auch einige Erklärungen ab. Es stand ja nun eine große Einschränkung vor uns – und ich hatte viel zu überlegen, mußte ja auch der Lehrkörper, jedenfalls den nebenamtliche verringert werden!

Nach ein paar Tagen – ich saß gerade über meinen Plänen, – es war vormittags nach Schulschluß, kommt plötzlich eine Lehrerin – den Namen nenne ich nicht! – zu mir und sagt: "Fräulein Groth, im Kollegium herrscht große Unruhe und Aufregung darüber, daß fortan die Lehrerinnen nur den niedrigeren Stundensatz erhalten sollen, während die Herren ihre drei Mark weiter erhalten! Nun, ich muß gestehen, dies hatte ich nicht für möglich gehalten! Hatte ich doch gemeint, daß wir nur froh sein sollten, daß die Schule wenigstens am Leben bleibt!
Ratlos zuerst saß ich nun da an meinem Schreibtisch. Was tun? Also noch einmal meine Berechnungen vorgenommen! Welche Summe würde es ausmachen, wenn auch die Damen drei Mark für die Stunde erhielten?!
Ich weiß natürlich nicht mehr die genaue Summe! Vielleicht 10-12.000 M? Nun ja, es war mittlerweile schon spät geworden! Ich mußte mich ja wohl zur Elektrischen auf den Heimweg zum Mittagessen begeben. Doch – ich war wie geschlagen! Auf dem Kohlenmarkt stieg ich in meine Langfuhr Elektrische – ging ganz weit nach vorn. Der Schaffner klingelte zur Abfahrt – da, was sehe ich? Senator Strunk kommt vom Theater her gelaufen – und springt auf die Elektrische! Und, als er mich da ganz vorne entdeckt, kommt er freundlich lächelnd mit ausgestreckter Hand auf mich zu!
Ach, ich konnte nur sagen: "Herr Senator, sie kommen wie ein Engel vom Himmel zu mir!" Und dann erzählte ich ihm von meiner Not. Aufmerksam gehörte er zu, sann dann nach und sagte schließlich: "Fräulein Groth, ich glaube ich kann Ihnen helfen! Ich habe da so einen kleinen Fonds! Ich werde mal nachsehen! Morgen Früh werde ich sie anrufen!"
Und dann kam am anderen Morgen der Anruf:
"
Alles in Ordnung! Es geht!"
Das war wirklich Hilfe in Not!
Und nun ging es beschleunigt an die Einrichtung der Weinlig-Schule in der Hundegasse! Es mußte doch wenigstens eine Küche eingerichtet werden. Dann die Schulbänke, erst teilweise durch Tische und Schemel ersetzt werden, etc. etc. An dieser Stelle möchte ich das lieben Tischlermeisters Wilhelm Wolf, Lang uhr gedenken, der wie ein rechter Freund mich beriet, tüchtige und saubere Arbeit lieferte und absolut zuverlässig war.
Ich pendelte nun immer zwischen der Großen Mühle und der Hundegasse hin und her – und kam meistens gerade zur rechten Zeit, um irgendetwas Falsches bei der Einrichtung zu korrigieren!
Ich selbst schenkte damals unserem Schulhaus den Küchenbalkon, der von "Küche 9" über dem Seitenflügel des Schulhauses errichtet wurde.
Am 21. Juni 1926 – ein Jahr nach unserer großen Ausstellung in der Loge Einigkeit auf Neugarten – sind wir dann in unser Schulhaus, Hundegasse 54 eingezogen!
Ein großer Tag! Und festlich sollte er vor sich gehen! Danzig sollte wissen, daß es eine Mädchenberufsschule hat!

Einweihung des neuen Gebäudes

Es traf sich glücklich, daß die Schwester meiner langjährigen Schulfreundin die Privatsekretärin unseres Senatspräsidenten Dr. Sahm war. Durch deren Vermittlung wurde ich zu einer Rücksprache mit dem Senatspräsidenten vorgeladen, in deren Verlauf ich den Präsidenten bat, zu der Einzugsfeierlichkeit unserer Schülerinnen in unser neues Schulhaus zu erscheinen, da ich es für sehr wünschenswert und richtig hielte, daß die Danziger Mädchenberufsschule auch nach außen hin den Platz unter den Danziger Schulen einnimmt, der ihr wegen ihrer Bedeutung zukommt.
Der Präsident sagte zu – fragte nur noch, welche Rolle ihm dabei zugedacht sei. Ich erwiderte, daß wir sehr dankbar und erfreut schon allein durch sein bloßes Erscheinen seien.
Leider war Senator Strunk zu dem Zeitpunkt unseres Einzugs bettlägerig krank, er wäre sicher sehr gern gekommen, auch um eine entsprechende Ansprache zu halten! Notgedrungen mußte nun Herr Oberschulrat Th. ran!
Nachdem ich nun die Zusage der Senatspräsidenten hatte, suchte ich den Oberschulrat auf und erstattete ihm Bericht bezüglich unseres Einzuges. Als er von mir hörte, daß ich den Senatspräsidenten eingeladen hatte, sagte er sichtlich peinlich überrascht: "Ja, ist das denn nötig?" – Nach allen meinen bisherigen Erfahrungen mit Oberschulrat Th. wird man wohl verstehen, dass mich ein gewisses Gefühl Der Genugtuung erfüllte, als ich ihm darauf erwiderte, daß dies allerdings sehr nötig und wichtig sei. Denn unsere Mädchenberufsschule sei nicht irgendeine "Winkelschule", oder eine "Frau Mädchenschule, sondern die größte Schule für Mädchen in Danzig und hätte große Aufgaben zu erfüllen.
Und so kam dann der feierlicher Tag des Umzugs und Einzugs, der 21. Juni 1926 heran.
Es war eine sehr schöne Feier! Herr Direktor Jasse war auch erschienen. Auch die Presse war erschienen! Herr Oberschulrat Th. hielt eine würdige Ansprache. Und hier will ich auch nicht unterlassen, die Bemerkung, die er über mich machte, aufzuschreiben. – Er wollte sichtlich wohl damit manches gut machen von dem, was er mir durch seine Gleichgültigkeit angetan hatte! Er sprach von Pestalozzi und meinte "seines Geistes hätte ich einen Hauch verspürt. Mich leite nur der Gedanke:
"
Alles für meine Schule! Nichts für mich!"
Nun, das war ja sehr freundlich von ihm gemeint!
Im übrigen kam er, nachdem wir das ganze Schulhaus besichtigt hatten, und der Senatspräsident fortgefahren war, noch einmal in mein Amtszimmer und sagte, daß er wohl einsehe, daß er sich bisher ziemlich lau meiner Schule gegenüber verhalten hätte, daß ich aber wissen solle, daß ihm das, was er über mich gesagt hätte, aus dem Herzen gekommen sei! Nun, das war besonders freundlich von ihm!
Es mag ja für einen Schulrat schwer sein, wenn er bislang nur Dezernent für höhere und Mittelschulen war, auf einmal nun noch das Dezernat für die Berufsschulen angehängt bekommt! Berufsschulen mit ihrer Vielgestaltigkeit und Vielseitigkeit, mit ihrer engen Verbundenheit mit dem Wirtschaftsleben.
Als Kuriosum hatte ich damals die Taktik von Oberschulrat Th. empfunden, dass er eigentlich immer, wenn ich mit irgendeinem Antrag zu ihm kam, zuerst "Nein!" sagte. Er wußte anscheinend genau, daß ich nicht so leicht abzuschütteln war, ich ihn vielmehr eingehend über den vorliegenden Fall aufklären würde, bis er schließlich – "Ja!" sagte. Unvergessen bleibt mir der eine Fall, als er mir einst sagte: "Fräulein Groth, Sie gehen als Siegerin aus diesem Zimmer!" –
Also nun hatten wir ein eigenes Schulhaus! Die in der Stadt Danzig selbst genutzten Schulhäuser wurden nicht mehr benötigt, die Schulhäuser der Außenwerke blieben selbstverständlich.
Schwierig war es ja nun, den Plan auf die verkürzte Unterrichtszeit umzustellen, also auch, nebenamtlichen Lehrkräfte zu entlassen! Selbstverständlich bemühte ich mich, so gerecht und verständnisvoll wie möglich dabei vorzugehen! Leicht war es jedenfalls für mich nicht! Im übrigen dauerte der Zustand des verkürzten Unterricht meines Wissens höchstens 2 Jahre.

Soziale Aktivitäten in der Zeit der Wirtschaftskrise

Damals hatten wir noch nicht die allgemeine Berufsschulpflicht. Die Hausmädchen waren auch noch nicht schulpflichtig. Das Wirtschaftsleben in Danzig ging gegen Ende der zwanziger Jahre merklich zurück. Die Arbeitslosenziffer stieg höher und höher. An den Volksschulen machte sich anscheinend der Geburtenrückgang nach dem ersten Weltkrieg bemerkbar. Viele junge Lehrerinnen hatten keine Beschäftigung! Viele Jugendliche suchten vergeblich nach Lehrstellen. Zu der Zeit wandte sich der Verein der Kriegshinterbliebenen an mich mit der Bitte, Klassen für Kriegerwaisen einzurichten, wie ja eine solche freiwillige Klasse für Schulentlassene mit 20 Wochenstunden schon bestand. Das Schulgeld bezahlte der Verband. Es war ein richtiges "Jugendnot-Werk". Ich richtete so genannte Vorlehre-Klassen ein für spätere kaufmännische oder gewerbliche Lehrlinge, oder auch nur hauswirtschaftliche Klassen.
Da ich dauernd mit dem Arbeitsamt in Verbindung stand, bekam ich auch einen erschreckenden Einblick in das Los der arbeitslosen Mädchen, die in langen Reihen auf den Korridoren standen, um die Arbeitslosen-Unterstützung zu erhalten.
Da war es für mich eine Selbstverständlichkeit für diese Mädchen so genannte Erwerbslosen-Kurse in den Abendstunden einzurichten. Ich kann mich allerdings nicht mehr entsinnen, wer diese Kurse bezahlte! Das Arbeitsamt? Oder wurden sie aus meinem Etat bezahlt? Eine derartige Notlage bezüglich des Etats wie in dem Jahr 1926 habe ich in den folgenden Jahren nicht mehr erlebt!


Rückblick auf die Vorgeschichte
Doch nun ist es wohl an der Zeit, noch einmal einen Rückblick auf die Zeit
vor 1920 zu werfen, als ich noch das "Sonntagsheim für junge Mädchen" und den "Schidlitzer Jugendbund" leitete!
Ich habe beide Mädchenbünde jahrelang geleitet, auch durch die Kriegsjahre von 1914-1918. Besonders nahmen wir uns damals der Kriegsblinden an, die wir zu geselligen Zusammenkünften sonntags einluden. Als ich 1920 den Aufbau der Mädchenberufsschule begann, gab ich das "Sonntagsheim" des "Evangelischen Frauenbundes" ab. Den "Schidlitzer Jugendbund" habe ich dann noch bis zum Jahre 1922 weitergeführt. Da 1921 das Ortsstatut in Kraft trat, war ja nun auch für die schulentlassene Jugend etwas geschehen !
Und dennoch - den Schidlitzer Jugendbund kann ich nicht so ohne weiteres verlassen! Nahm ich doch von ihm ein "Erbstück" mit in die Mädchenberufsschule! Und zwar – unsere Gartenparzelle mit Laube in der Schidlitzer Laubenkolonie! Wir hatten diese Parzelle mit Laube vor einigen Jahren von dem Vorstand der Laubenkolonie erworben und viele frohe Stunden dort verlebt.
Anfang der zwanziger Jahre hieß es auf einmal, die Laubenkolonie solle eingehen, weil die Erben des Geländes das Land als "Bauland" verwenden wollten! Die Kolonisten sollten als Ersatz Gelände auf dem Bischofsberg erhalten!
Der "Schidlitzer Jugendbund" war sozusagen in der Mädchenberufsschule aufgegangen! Ich stellte daher, solange wir noch unsere Parzelle in der Schidlitzer Laubenkolonie behalten durften, unseren dortigen Gartenplatz mit seiner Laube der Mädchenberufsschule zur Verfügung, bis die endgültige Auflösung der Kolonie nach etwa 2 Jahren vor sich ging. Die Laube stellte ich dem Schildlitzer Luisen-Heim zur Verfügung. Der Transport der Laube bis zum Luisen-Heim, das ganz in der Nähe der Laubenkolonie lag, ging ohne Schwierigkeit von statten.


Jugendheim auf dem Bischofsberg
Auf dem Bischofsberg war inzwischen das Land, auf dem nun die neue Kolonie "Bergeshöh" erstehen sollte, mit einem Drahtzaun umgeben worden. Ich hatte bei dem Vorstand eine Parzelle für mich persönlich, für meinen eigenen Bedarf beantragt und auch erhalten. Wie es sich später herausstellte, hatte ich ohne es freilich zuerst zu ahnen, nach meiner Meinung den schönsten und für den Zweck, der mir vorschwebte, geeignetsten Platz für mich ausgesucht! Er lag etwa 25 Minuten von der Schule in der Hundegasse entfernt – und zwar in völlig ländlicher Umgebung!



Das Land war vorher ein Kartoffelacker gewesen! Rührend war es nun, zu beobachten, wie in den nächsten Tagen die Kolonisten mit ihren alten Lauben und den ausgegrabenen Obstbäumen – auf kleine Pferdefuhrwerke geladen – vorsichtig und mühsam den Bischofsberg hinauf fuhren – und, oh Wunder! – innerhalb einer Woche war der Kartoffelacker ein dicht bepflanzter Obstgarten geworden.


Und meine Parzelle? Ein mir bekannter Gärtner legte nach meinen Angaben den Garten mit seinen Sträuchern und Obstbäumen an. Ein befreundeter junger Student entwarf die Zeichnung für die Laube und die Nebenräume, Küche und Schuppen. Ein tüchtiger Tischlermeister baute alles auf, angestrichen wurde die Laube rotbraun mit weiß und blau angestrichen den Fenstern – wie ich es 1926 in den großen Ferien in Schweden gesehen hatte – und fertig war mein kleines Jugendheim, das ich mir gewünscht hatte für 10 erholungsbedürftige arbeitslose Schülerinnen meiner Schule. Das sollte, wie man ja heutzutage sagt mein ganz persönliches "hobby" werden!
Ein langer Gartentisch, rundum lange Bänke für die Mädel, eine "Pergola", gedielt mit 10 großen Liegestühlen, natürlich mit Matratzen und Wolldecken – das war die Ausrüstung!
Eine weitere Beschreibung muß ich mir versagen. 


Im Laufe der Jahre sind ja dann Tausende junge Mädchen dort in meinem Gärtchen auf dem Bischofsberg gewesen.
Die erholungsbedürftigen Mädchen standen unter der ärztlichen Aufsicht des Gesundheitsamtes. Die Mädels waren in der Regel vom 15. Mai bis Ende September mit Ausnahme des Sonntags täglich von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr auf dem Bischofsberg. Sie wurden auch dort verpflegt – das Abendbrot nahmen sie zu Hause ein.
Von 1927-1932 habe ich diese kleine Erholungsstätte durchgeführt. Die Leitung übertrug ich jungen Lehrerinnen, die in diesen Jahren wegen der großen allgemeinen Arbeitslosigkeit ohne Beschäftigung waren. Unter anderem hat Fräulein Kloewechern [?] an und am längsten Fräulein Lucie Kneiding diese Stätte geleitet.
Die Arbeitslosigkeit nahm in den Jahren um 1930 in einem erschreckenden Maße zu. Erschütternd war es für mich immer, wenn ich auf dem Wege zu der kleinen Erholungsstätte – am helllichten Tage, in den Vormittagsstunden – auf dem Bischofsberge an den dort lagernden und herumlungernden Männern vorbeiging, die – Karten spielten! Um wenigstens zu einem Teil diese Notlage abzubauen, entstanden Ostern 1932 die männlichen "Arbeitslager". Vom Arbeitsamt und dem Dezernenten der Arbeitslager wurde mir nahe gelegt, auch für die weiblichen Arbeitslosen in einer geeigneten Form einen "Arbeitsdienst" einzurichten. Vom Arbeitsamt wurde ein Geldzuschuß von 0,20 Pf. pro Kopf und Tag zugesagt. Selbstverständlich sah ich sofort ein, daß hier eine wichtige Aufgabe für unsere Schule vorlag, und so richtete ich im Oktober 1932 den ersten weiblichen, freiwilligen Arbeitsdienst in Danzig ein.
Während für die Männer, die mit Außenarbeiten, wie Wegebau, Straßenverbesserungen etc. beschäftigt wurden, das Leben in Arbeitslagern die geeignetste Form war, konnte der Arbeitsdienst, den ich für die Mädchen von unserer Schule aus einrichtete, selbstverständlich nur als "Halbtagsdienst", der in den Räumen und bei den Gegebenheiten unseres Schulhauses vor sich gehen mußte, eingerichtet werden. Die im 3. Stock gelegene Schulküche, dazu der große Saal mit den Nähmaschinen im selben Stock stand den Mädchen täglich bis 2 Uhr zur Verfügung, dazu unsere Waschküche im Erdgeschoß.


60 Mädel wurden uns vom Arbeitsamt überwiesen. Sie wurden in 3 Gruppen eingeteilt. Unterrichtsfächer waren Kochen und Hausarbeit, Wäschenähen und Ausbessern, Waschen und Plätten, dazu theoretischer Unterricht in Kinderpflege, Gesundheits- und Krankenpflege und Erziehungslehre.
Drei jungen, damals arbeitslosen Gewerbelehrerinnen übertrug ich die Leitung dieses ersten weiblichen Arbeitsdienstes. Soweit ich mich erinnere, war ihre Besoldung durch das Arbeitsamt denkbar minimal! Doch ich hatte durch aus den Eindruck, daß sie sich freudig in diese wertvolle und wichtige Aufgabe schickten, – und – sie waren wenigstens nicht zur Tatenlosigkeit und Arbeitslosigkeit verurteilt!

Die Mädchen arbeiteten für die Männerlager! Die Wäsche der Männer wurde gewaschen, ausgebessert und geplättet (Ich entsinne mich, dass ich selbst zuerst einmal 120 Hemden zugeschnitten habe, damit die Männer ihr Hemd wechseln konnten!)
Es herrschte ein fröhliches, reges und munteres Leben unter den Beteiligten. Ich bin überzeugt, daß es nun, – da alles zerschlagen ist, und alles uns nur noch wie ein Märchen, ein schöner Traum erscheint, – allen eine liebe Erinnerung ist!
Meine kleine Erholungsstätte wurde allerdings Ende September 1932 geschlossen! Dafür zog nun im Sommer 1933 ein Teil der Arbeitsmädchen auf den Bischofsberg. Ich hatte ganz in der Nähe der Laubenkolonie – (ich glaube, es war die Bastion "Aussprung", der Bischofsberg war ja früher Befestigungsgelände!) einen Acker gepachtet, – diesmal aus Etatsmitteln! Dieses Land bearbeiteten nun die Mädchen des Arbeitsdienstes! Die Früchte kamen dem Kochunterricht der ganzen Schule zu gut! Wir legten auch ein "Flachsfeld" an. Da in der näheren Umgebung von Danzig nirgends Flachs angebaut wurde, setzte ich, als es blühte, einen kleinen Artikel in unsere "Danziger Neusten Nachrichten".
Den Flachs haben dann die Mädels im Winter nach allen Regeln der Kunst bearbeitet. Sie haben dann den Flachs versponnen, – und jedes Mädel hat sich dann auf unseren Webstühlen ein kleines Handtuch daraus gewebt.



Am Strand von Heubude

So lief denn also unsere Mädchenberufsschule mit allen ihren Fachklassen und dem "Arbeitsdienst" im 3. Stock flott auf vollen Touren! Im Oktober 1933 feierten wir dann das einjährige Bestehen des "Danziger freiwilligen, weiblichen Arbeitsdienstes"! Es war ein wunderschöner Festtag!
Aus den 14 männlichen Arbeitslagern kamen Abordnungen – mit Geschenken! Selbst gearbeitete Nähkästen, Wandsprüche etc. (sogar ein selbst gearbeiteter Nähtisch wurde gebracht!)
Wir waren etwa 130 Personen. Nach einer Ansprache des obersten Lagerleiters gab es dann ein Festessen und anschließend daran Kaffee und Kuchen. Darauf ein Tänzchen und als die Freude so um 4 Uhr- nachmittags natürlich - ungefähr den Höhepunkt erreicht hatte – machte ich Schluß in der Erwägung, daß es immer am richtigsten ist, aufzuhören, wenn es am schönsten ist!

Folgen der Machtübernahme Hitlers
Und wie ging es dann weiter?
Nun ja bis zum Herbst 1934 ging es in gewohnter Weise weiter, – bis eines Tages die oberste Frauenschaftsleiterin, Frau Günther, in meinem Amtszimmer erschien! Im Jahr 1933 war ja die Machtübernahme Hitlers vor sich gegangen! Selbstverständlich beanspruchte Frau Günther den weiblichen Arbeitsdienst, den sie nun erst richtig aufziehen würde, für sich und die Frauenschaft!
Als ein paar Tage darauf wieder aus einem Lager Wäsche zum Waschen und Ausbessern gebracht wurde, musste ich den Männern sagen, daß sie sich fortan damit an die Frauenschaft wenden müßten, denn die hätte jetzt den weiblichen Arbeitsdienst übernommen.
Ach, es tat mir leid, ihnen das sagen zu müssen! Die Männer waren einfach entsetzt, sagten sie würden alle nun aus den Lagern fortlaufen! –
Nun, ich weiß nicht genau, wie es nun bei der Frauenschaft weiterging! Ich glaube, sie richteten nun richtige "Mädchenlager" ein. Für die Männerlager wurde nicht mehr gearbeitet, die werden da ja wohl einen Ausweg gefunden haben!
Der Sommer 1934 verlief für den weiblichen Arbeitsdienst unserer Schule in gewohnter Weise, sowohl an unserer Schule wie auf dem Bischofsberg.

Von meiner Laube aus ging der Blick auf einen etwas tiefer gelegenen Grasplatz. Der Bischofsberg war ja früher Festungsgelände mit den typischen Anlagen und Wällen, verschieden gelagerten ebenen Plätzen etc. Diesen Platz, ich glaube, er wurde als kleiner Spiel- und Sportplatz früher benutzt, pachtete ich für die Schule, da ich beabsichtigte, dort ein kleines Jugendheim für die Schule zu erbauen. Vormittags sollte es als Kindergarten für 24 in der Umgebung wohnende Kinder dienen.
Da der Platz jedoch sehr verwühlt war und sich in einem sehr schlechten Zustand befand, wandte ich mich an den Leiter der männlichen Arbeitslager mit der Bitte, die notwendigen Planierungsarbeiten durch seine Leute ausführen zu lassen. Bereitwilligst übernahmen die Männer dieser Arbeit, sozusagen zum Dank für die Hilfe, die die Mädels ihnen geleistet hatten!
Die Arbeiten sollten angeblich in etwa 6 Wochen fertig gestellt sein, – zogen sich aber auf mindestens ein Vierteljahr hin! Es war doch zu schön dort auf dem Bischofsberg! Auf dem Acker arbeiteten die Mädel und unten auf dem Platz gruben und karrten die Männer – und gemeinsam wurde dann die Frühstückspause abgehalten, für die die Mädels in unserer kleinen Küche den Kaffee kochten! Kein Wunder, daß sich die Arbeiten "etwas" "in die Länge zogen"!!
Doch Ende 1934 ging
unser weiblicher Arbeitsdienst in die Hand der Frauenschaft über. Dennoch gaben wir die Arbeit an der arbeitslosen weiblichen Jugend nicht ganz auf. Wir unterhielten weiterhin unter der Bezeichnung "Mütterschule" Erwerbslosenkurse.
Wie lange wir diese Kurse durchhielten, ist meinem Gedächtnis nicht mehr gegenwärtig!
Im Frühjahr 1935 war unterdessen mein kleines "Jugendheim" unser "Berghäuschen" fertig gestellt worden. Der ringsum mit Fliederbüschen umsäumte Platz prangte in frischem Frühlingsgrün, und unsere Mädels zogen von der Schule in langen Zügen von der Schule in der Hundegasse über den "Feuerwehrplatz", den Heumarkt und "das schwarze Meer" hinauf zum Bischofsberg, denn dort sollte das "Richtfest" unseres Berghäuschens gefeiert werden! Tischlermeister Wolff zusammen mit seinem Sohn hatten es aufgebaut, die "Richtkrone" prangte über dem Dach, von dem aus Herr Wolf junior seinen Richtfestspruch sprach.
Anfang Mai 1935 war dann das "Berghäuschen" fertig!
Es war mein Geschenk an die Schule.
Im Anschluß an eine Maifeier auf dem Bischofsberg, an der auch Herr Oberschulrat Kesten teilnahm, wurde ihm feierlich der Schlüssel des "Berghäuschens" als dem Eigentum der Schule – überreicht.
Und dann belebte sich das Berghäuschen mit 24 fröhlichen Kindern! Eine Kindergärtnerin betreute sie. Ihr zur Seite standen jeweils 4-6 Schülerinnen, die, sobald sie lehrplanmäßig Unterricht in Säuglings-und Kinderpflege in der Schule erhielten, zum Kindergarten abgeordnet wurden.
Durch den von Göring 1935 gegebenen Erlaß, nach welchem alle Mädchen nach dem Verlassen der Volksschule ein so genanntes "Pflichtjahr" in einer Familie, einem Haushalt ableisten mußten, ergab es sich zwangsläufig, daß nun die "allgemeine Berufsschulpflicht" anlief.
Ich erhielt fortan von den Volks- und Mittelschulen die Listen über die schulentlassenen Mädchen. Diese wurden dann in die hauswirtschaftlichen Klassen eingeschult. So vergrößerte sich die Schülerinnenzahl beträchtlich. Selbstverständlich vergrößerte sich auch der Lehrkörper, vor allem an hauptamtlich angestellten Lehrkräften.


Aufbau der Schule 1945
Im Jahre 1945, also beim großen Zusammenbruch, zählte das Lehrerkollegium – einige wenige nebenamtliche Fachkräfte mitgezählt – einige 50 Lehrkräfte!

In der Mädchenberufsschule in Danzig bestanden folgende Klassen.

Lehrlingsklassen für
1. Kontoristinnen
2. Verkäuferinnen
3. Schneiderinnen
4. Putzmacherinnen
5. Weißzeugnäherinnen
6. Frisösen
7. Hauswirtschaftslehrlinge
8. Kinderpflegerinnen
9. Technische Zeichnerinnen

Arbeiterinnenklassen
1. Bernsteinarbeiterinnen
2. Keramikarbeiterinnen
3. ungelernter Arbeiterinnen
Dazu:
Freiwillige Klassen (Vorlehre!) und nach der Einführung der allgemeinen Berufsschulpflicht die Pflichtjahrklassen, in die auch die Hausangestellten eingeschult wurden.
Die Schule zählte kurz vor dem Zusammenbruch im Jahre 1945 über 4000 Schülerinnen!
Im Jahre 1940 feierten wir am 12. April das 20-jährige Bestehen der Schule. Am 12. April 1945 hätten wir unser 25. Jubiläum feiern können!
Doch – das Schicksal versagte es uns! Am 1. Februar 1945 habe ich mit dem Kollegium meine letzte Konferenz abgehalten!
Und dann habe ich mein Amtszimmer dem Herrn abgegeben, der für die Versorgung der Flüchtlinge zuständig war, Denn das Schulhaus wurde nun Zufluchtsstätte für ungezählte Flüchtlinge aus Ostpreußen.
Ich habe unser liebes Schulhaus, Hundegasse 54, nicht mehr wieder gesehen. Es ist in den Märztagen 1945 durch Bombenwurf bis auf den Grund zerstört worden.

Anna Groth
Eisenach, 10. Januar 1959

Ergänzend ist mitzuteilen, daß im Jahre 1937 die kaufmännischen Klassen (Kontoristinnen und Verkäuferinnen) von der Mädchenberufsschule abgezweigt und der städtischen Handels- und Höheren Handelsschule angegliedert wurden.
Ich muß es mir leider versagen, die Namen der Lehrkräfte, die an der Mädchenberufsschule unterrichtet haben, aufzuschreiben, – es sind zu viele! Und manche Namen, besonders aus den letzten Jahren sind mir entfallen. Um nun niemanden zu kränken, ist es wohl am richtigsten, daß eine Aufstellung unterbleibt.
Erwähnen möchte ich nur noch die Namen der Lehrkräfte, die mir in der Leitung zur Seite standen
1. Fräulein Margarete Hagen als Direktor-Stellvertreterin
2. Fräulein Charlotte Klatt als Fachvorsteherin für Hauswirtschaft
3. Fräulein Hildegard Loewen, Diplomhandelslehrerin als Fachvorsteherin für die kaufmännischen Klassen.
Und nun ist noch zu berichten, in welcher Form wir an der Mädchenberufsschule "Jugendpflege" betrieben!
Der Jugendpflege dienten außer den "Jugendkreisen", die die einzelnen Lehrkräfte um sich sammelten, ein Schülerinnenchor, Turnabende in der Turnhalle der Viktoriaschule, auch ein Litteraturabend, den Fräulein Meysen, solange sie an unserer Schule war, durchführte.
Eine Reihe von Morgenfeiern, die vor dem Beginn des Unterrichts auf dem Bischofsberge abgehalten wurden.
Einen Höhepunkt unserer festlichen Veranstaltungen bildete das am 1. Oktober 1936 durchgeführte Erntedankfest auf dem Bischofsberger, zu dem auch Herr Senator Boek erschienen war, und an dem jeder Teilnehmer ein Gläschen unseres selbst angefertigten Apfelmostes erhielt!
Der Diplom-Landwirt Herr Heinrich Werth, war durch die Vermittlung der Diplomhandelslehrerin Fräulein Herholz mit mir und der Schule in Verbindung gekommen. Er war damals – also vor einigen 20 Jahren – (heute schreiben wir das Jahr 1959!) ein Vorkämpfer für die "gärungslose Fruchtsaftbereitung", – die heutzutage ja allgemein bekannt und beliebt ist! Ich schaffte für die Schüler einen so genannten "Most-Max" an, und dann haben die Mädels unter Anleitung von Herrn Werth auf den Bischofsberg den Most für unser Erntefest hergestellt. (Später wurden auch die "Kolonisten" unserer Laubenkolonie "Bergeshöh' " damit vertraut gemacht!)
Anna Groth
Eisenach, d. 10. Januar 1959
Wartburg-Chaussee 11
Nachtrag!
Im Juni 1945, vielleicht war es wieder einmal ein 21. Juni?!, bin ich noch einmal in meiner Laube auf dem Bischofsberg gewesen. Ich mußte natürlich von meiner Wohnung im Jaeschkentalweg zu Fuß gehen, – die elektrische Bahn fuhr noch nicht wieder! Ich ging durch unseren schöne "Große Allee" bis zum "OlivaerTor", bog dann nach rechts ab an dem Friedhof von "Heilig. Leichnam" und den Garnison-Friedhof entlang, vorbei an dem "Russischen Grab" und dem "Salvator Friedhof" am Anfang von Schidlitz. Dann überquerte ich die "Karthäuserstraße" in Schidlitz und gelangte über die Höhen nach "Zigantenberg" und zu unserer Laubenkolonie "Bergeshöh' ".
Meine Laube war ziemlich unversehrt, doch natürlich ausgeplündert! Das "Berghäuschen" stand auch noch da, doch natürlich völlig ausgeraubt! Aus der Holzdecke hatte man "Sperrholzplatten" herausgerissen. Der hübsche grüne Kachelofen aber stand noch da. Man sagte mir, daß auf unserem Platz einige Russen beerdigt worden seien!
Im Gemüsegarten, hinter der von uns angepflanzten Maulbeerhecke – (wir hatten ja an eine Seidenraupenzucht als Nebenerwerbsquelle für den die Laubenkolonisten gedacht!) – habe ich dann noch einige Spargel auf dem Spargelbeet gefunden. Von unserem Walnußbaum in der Nähe des Sandkastens für unsere Kindergartenkinder habe ich dann auch Abschied genommen!
In meinem Garten stand der junge "Grauchen-Birnbaum" voller Früchte – zum ersten Mal! – doch leider alle Früchte natürlich noch unreif! Auch die anderen Obstbäume waren voll Früchten!
Die Erdbeeren hatten schon Liebhaber gefunden! Während ich mir noch unreife Stachelbeeren abpflückte, erschienen zwei polnische Soldaten, die natürlich ungeniert ernteten – wahrscheinlich Himbeeren und Johannisbeeren! Mich selbst ließen sie aber unbehelligt.
Ich war am Nachmittag in meiner Laube angekommen und war viel zu sehr erschöpft, als dass ich den Rückweg nach Langfuhr noch einmal zu Fuß hätte machen können. Ich habe die Nacht bei meiner Lauben-Nachbarin zur rechten Hand auf einem meiner Liegestühle zugebracht und bin dann am anderen Morgen nach Hause zurückgekehrt.
Das war mein Abschied vom geliebten Bischofsberge! Ob es eine "Sonnenwendnacht" war?
Vor Jahren hatte ich auch einmal am 21. Juni den Sonnen-Aufgang in meiner Laube erlebt, damals – in glücklichen Friedens ja dann!

Am 29. August 1945 habe ich dann mit meiner lieben Schwester Hedwig aus der geliebten Heimat fliehen müssen! Meine Schwester starb auf der Flucht in einem Mühlhäuser Krankenhaus am 18. September 45. Am 19. September 45 fand ich meine Zuflucht bei meinem Bruder Hugo in Wendehausen, einem Dorf im Kreise Mühlhausen/Thür.

Anna Groth,
d. 10.1.1959.

Zur Textgestaltung
Der Text wurde Januar 2019 einer Texterkennung diktiert und danach korrigiert. Dabei sind aber mit Sicherheit einige, wahrscheinlich viele, moderne Schreibweisen an die Stelle des originalen Textes getreten. Außerdem wurde bei Datumsangaben nicht darauf geachtet, ob A. Groth Wörter, Zahlen oder abgekürzte Wörter verwendet hat. Aufgelöste Abkürzungen wurden oft stehen gelassen. Andererseits sind gewisse Eigenarten bewusst beibehalten worden, so weit ohne zu großen Aufwand möglich: die häufigen Ziffern bei Zahlenangaben statt Wörtern (auch bei den Zahlen von 2 bis 12), die schier unglaubliche Zahl von Ausrufungszeichen, die Kombination von Gedankenstrichen und Klammern. - Hier wurden freilich, was offenkundig unabsichtlich geschah, fehlende Kommas, fehlende Klammern u.ä. eingefügt.
Die Schreibweise von Straßen- und Ortsnamen wurde nicht an alten Stadtplänen überprüft, Personennamen in der wahrscheinlichste Version wiedergegeben und nur bei größerer Unsicherheit diese durch [?] angedeutet. Auch wurde der Text nicht noch einmal Wort für Wort mit dem Original verglichen.

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